Okay, hier der Versuch einer für den Laien verständlichen Erklärung:
Vorbemerkung: Mad hat schon zutreffend bemerkt, daß es ohne Grundlagenwissen nicht geht. Deshalb schicke ich einige Grundlagen vorweg und versuche dabei, ohne Differentialgleichungen auszukommen
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Grundlagen:
Newton lehrt uns, daß in einem mechanischen System alle wirkenden Kräfte im Gleichgewicht miteinander stehen. Soll heißen: Die Summe aller wirkenden Kräfte ist Null. Beispiel: Wenn ich eine Masse an einem Bindfaden aufhänge, dann habe ich zwei Kräfte. Die Gewichtskraft der Masse wirkt beispielsweise mit 1N nach unten. Im Bindfaden stellt sich eine Zugkraft ein, die ebenfalls 1N beträgt, und die die Masse nach oben zieht. Gewichtskraft der Masse nach unten und Zugkraft im Faden nach oben sind gleich groß, aber entgegengesetzt und heben sich gegenseitig auf. Klar soweit?
Hierbei haben wir auch schon den zweiten wichtigen Punkt gelernt: Man unterscheidet zwischen äußeren Kräften (Gewichtskraft) und inneren Kräften (Zugkraft im Faden). Die inneren Kräfte stehen mit den äußeren Kräften im Gleichgewicht. Weiter unten werden wir sehen, daß wir beim Fahrwerkssetup nur die inneren Kräfte, nicht jedoch die äußeren Kräfte beeinflussen bzw. einstellen können.
Weiter geht’s: Unsere Fahrwerksaufhängung mit gedämpften Federbein weist vier Sorten von Kräften auf:
1. Konstante Kraft.
1a. Das ist zum einen die Gewichtskraft von Motorrad plus Fahrer (plus Sozius). Die ist eine äußere Kraft. Die ist wie sie ist. An der wollen und können wir nichts ändern.
1b. Die Federvorspannung. Sie ist eine innere Kraft. Die können wir einstellen. Mehr dazu später.
2. Kraft abhängig vom Federweg
Je weiter wir unser Federbein zusammendrücken, umso größer wird unsere Federkraft. Auch dies ist eine innere Kraft. Der Anstieg der Federkraft ist ausschließlich abhängig von der Steifigkeit der verbauten Feder. Einzige Einflussmöglichkeit: Austausch der Feder. Können wir machen, müssen wir aber nicht, siehe unten.
3. Geschwindigkeitsabhängige Kraft. Diese Kraft bezeichnen wir als Dämpfung, und ist eine innere Kraft. Wenn wir unsere Hand ins Wasser tauchen, spüren wir keine Kraft. Wenn wir unsere Hand im Wasser bewegen, erfahren wir eine Widerstandskraft. Je schneller wir unsere Hand im Wasser bewegen, umso größer wird diese Widerstandskraft. Sie ist also geschwindigkeitsabhängig. Im Federbein haben wir hierzu einen Kolben, der sich in einem Ölbad bewegt. Je schneller die Ein- und Ausfederung erfolgt, umso größer wird die Dämpfungskraft.
Einflussmöglichkeiten: Die Ein- und Ausfedergeschwindigkeit ergibt sich aus unserer Fahrgeschwindigkeit und den Bodenunebenheiten. Die Dämpfung wird dadurch erzeugt, daß zähflüssiges Dämpferöl durch Spalte und Bohrungen im Dämpferkolben gedrückt wird und dabei einen Widerstand erzeugt. Bei einstellbaren Federbeinen oder Gabeln lassen sich diese Öffnungen vergrößern bzw. verkleinern. Dazu gibt es beim Originalfederbein das Rädchen mit den Stufen 1 bis 3. „1“ bedeutet große Öffnung = kleine Dämpfungskraft. „3“ bedeutet kleine Öffnung = große Dämpfungskraft. Bei der Gabel haben wir außerdem noch die Möglichkeit, dünnflüssigeres oder dickflüssigeres Gabelöl zu verwenden. Dünnflüssigeres Öl = geringe Dämpfungskraft und umgekehrt.
4. Beschleunigungsabhängige Kraft. Wenn wir mit dem Motorrad Gas geben und beschleunigen, zieht uns unsere Massenträgheit nach hinten. Genauso ist es auch beim Überfahren einer Bodenwelle. Motorrad samt Fahrer werden kurzzeitig nach oben beschleunigt. Die Massenträgheit drückt uns zusätzlich zur sowieso schon wirkenden Gewichtskraft nach unten. Das Federbein wird weiter zusammengedrückt. Dies ist also eine äußere Kraft, die wir technisch nicht beeinflussen können. Technische Einflussmöglichkeiten: Keine, denn die beschleunigungsabhängige Kraft ergibt sich aus den Bodenunebenheiten und unserem Gesamtgewicht.
Soviel zu den Grundlagen. Jetzt kommen wir zu den für uns Fahrer relevanten Schlussfolgerungen.
Beeinflussen können wir nur die inneren Kräfte im Federbein. Diese sind (siehe oben)
1b – die Federvorspannung;
2 – Kraft abhängig vom Federweg;
3 – Dämpfung.
Sie stehen im Gleichgewicht mit den äußeren Kräften (siehe oben), die wir im technischen Sinne nicht beeinflussen können:
1a - Gewichtskraft;
4 - Vertikalbeschleunigung beim Überfahren von Bodenunebenheiten.
Beim Fahrwerkssetup geht es darum, die vom Benutzer wählbaren bzw. einstellbaren Größen Federvorspannung, Federsteifigkeit und Dämpfung optimal aufeinander und auf die äußeren Lasten abzustimmen.
Ein Ergebnis gleich vorweg: Für jedes Körpergewicht und jede Streckenbeschaffenheit (beides führt zu den vorgenannten äußeren Lasten) gibt es nur eine optimale Federvorspannung, nur eine optimale Federsteifigkeit und nur eine optimale Dämpfung. Es ist nur sehr eingeschränkt möglich und im übrigen nicht optimal, einen Mangel bei einem der drei Werte durch Einstellung eines der übrigen zwei Werte beseitigen zu wollen.
Zu 1b: Mit der Federvorspannung stellen wir ein, wie viel unser Motorrad „einsinkt“, wenn wir uns draufsetzen, ohne loszufahren. Faustregel: Das Motorrad sollte etwa ein drittel des verfügbaren Federweges einsinken, um beim Fahren hinreichend Federweg in beide Richtungen (Ein- und Ausfedern) zu haben.
Wenn wir während des Fahrens ein Problem mit zu tiefem Einfedern haben, könnten wir zwar die Federvorspannung erhöhen. Das Motorrad sinkt beim Aufsitzen nicht so weit ein, und wir haben mehr Federweg Richtung „Einfedern“ zur Verfügung. Nachteil: Es fehlt uns Federweg Richtung „Ausfedern“. Es ist also der falsche Weg oder zumindest nur ein Notbehelf, ein zu schlappes Fahrwerk mit übermäßiger Erhöhung der Federvorspannung korrigieren zu wollen.
Zu 2: Die Federsteifigkeit beeinflusst, wie weit unser Federbein zusätzlich zur Grundeinstellung (siehe 1b) bei Bodenunebenheiten einsinkt. Die standardmäßig verbaute Feder ist für das Gewicht von kleinen Japanern ausgelegt und für Fahrer maximal bis 80kg okay. Für schwere Fahrer oder bei häufigem Soziusbetrieb ist die Feder zu schlapp. In Schlaglöchern kann die Fuhre aufsitzen, was höchst unangenehm ist. Dies können wir nicht bzw. nur durch Austausch der Feder beeinflussen. Abhilfe: Hyperpro-Feder etc. verbauen. Nachteil: Mit geringerem Körpergewicht bzw. beim Fahren ohne Soziusbetrieb wird die Fuhre bockelhart. Der Komfort geht verloren.
Zu 3: Die Dämpfung ist der kniffeligste Faktor. Ganz ohne Dämpfung würde unser Motorrad bei Bodenunebenheiten nicht nur einsinken, sondern wie ein Jojo anfangen auf und ab zu schwingen. Dieses Schwingen geht mit einer vertikalen Auf- und Ab-Geschwindigkeit einher, die durch den Dämpfer gebremst wird. Hier ist es ganz wichtig, das richtige Maß der Dämpfung durch Einstellen des Rädchens oder durch Wahl der Ölviskosität zu finden.
Zu niedrige Dämpfung: Die Fuhre schwingt und wird unkontrollierbar. Außerdem: die Schwingbewegung addiert sich zum Einsinken des Federbeins nach 1b und 2. Das heißt: Selbst wenn die Federvorspannung (1b) und die Federsteifigkeit (2) richtig gewählt sind, kann der Bock durch den ungedämpften zusätzlichen Schwingweg zu hohe vertikale Auslenkungen erfahren und aufsitzen.
Zu hohe Dämpfung: Die Fuhre schwingt zwar nicht mehr. Aber die Dämpfungskräfte werden sehr hoch. Wie wir oben gelernt haben, addieren sich alle Kräfte. Zu den Federkräften kommen noch die Dämpfungskräfte. Die Summe aus beiden kann bei zu starker Dämpfung unangenehm hoch werden. Die Fuhre wird bockelhart und unkomfortabel. Außerdem wird ja die Federungsgeschwindigkeit durch die Dämpfung gebremst, wird also langsamer. Bei kurzen Bodenunebenheiten kann das Fahrwerk nicht mehr so schnell dem Bodenverlauf folgen. Die Fuhre fängt an wie ein Karnickel zu hoppeln.
Trick: Wenn unsere Feder für unser Gewicht zu schlapp ist, wenn es uns also an Federkraft fehlt, dann können wir das teilweise durch erhöhte Dämpfungskraft wett machen. Die Summe aus (zu geringer) Federkraft und (zu hoher) Dämpfungskraft ist u.U. näherungsweise richtig. Soll heißen: Sie ist groß genug, daß wir in einer kurzen Bodenunebenheit nicht aufsitzen. Nachteil: Dies ist nur ein Provisorium, da es nur bei kurzen, schnellen Bodenunebenheiten funktioniert. Nur dort haben wir hohe Einfedergeschwindigkeiten, die entsprechend hohe Dämpfungskräfte erzeugen. Bei lang gezogenen Bodenwellen sind die Einfedergeschwindigkeiten gering. Also sind auch die Dämpfungskräfte gering. Die zu schlappe Feder kann nicht hinreichend kompensiert werden.
War diese kleine Abhandlung verständlich genug?